„Die spielen das doch auch ohne Dirigent“ 

Wie nötig ist der Kapellmeister? Gedanken zu einer Beethoven-Aufführung der „Wiener Virtuosen“

Eine der beliebtesten Pausendiskussionen im Konzertsaal ist die über die Frage, ob Orchester nicht ganz ohne Dirigenten auskommen könnten. „Die spielen das doch von allein“, heißt es gern. Tatsächlich, sehen wir von kommunistischen Experimenten in der frühen Sowjetunion ab, die über Jahre hin funktionieren mussten, gibt es immer wieder Versuche, zumindest von kleiner besetzten Ensembles, auf den Mann (oder die Frau) am Pult zu verzichten. 

Einen Crashkurs in Sachen Gleichberechtigung absovlierten Anno 2014 einmal die aus Wiener Philharmonikern gebildeten Wiener Virtuosen mit Beethovens Achter Symphonie. Die gilt als besonders heikel – und doch: Man kann sie, wie damals zu lernen war, unter Verzicht auf einen Dirigenten abwickeln. Wie um den Stehsätze des philharmonischen Abonnementpublikums zu beweisen: Die können das alls auch von allein.

Klar können sie, wenn auch eine solche Aufführung zu einem Crashkurs wird, in dem sich zeigt, was beim Blindflug alles passieren kann, zu welchen Hoppalas es mangels kapellmeisterlicher Obsorge geradezu kommen muss: Ein paar überlappende, ein paar um ein Alzerl auseinanderklaffende Takte; vor allem im zweiten Satz, dem Allegretto, jener berüchtigten Parodie auf Mälzels Metronom. Da genügt es nicht wirklich, wenn die Dinge so ungefähr geschehen, so über den Daumen gepeilt. Wer die metronomische Präzision aufs Korn nehmen will, muss sie eisern beherrschen . . .

Gewiss, beim Pausentratsch werden erfahrene Musikfreunde etliche Dirigenten nennen können, unter deren Stabführung die Achte noch viel unpräziser daherkäme; und die zur geistigen Durchdringung, zur Lichtung des Stimmengefüges während der Proben noch weniger beitragen würden als wenn die Musiker sich untereinander unterhalten. Das hat etwas Wahres.

Daher nahm man anlässlich des damaligen Experiments im Musikverein lieber die Habenseite des Unterfangens in Augenschein: Die ist beträchtlich, vor allem dort, wo sich der Elan solcher Spitzenmusiker ungebemst entfalten kann. Im übrigen wäre eine solche Wiedergabe ein exzellentes Lehrstück für angehende Dirigenten, um hörend zu begreifen, was denn nun bei Erzmusikanten denn wirklich „von selber“ geht, wenn sie wach aufeinander hören, statt auf einen Dirigentenstab zu schauen; und halt auch: wo sie doch Hilfe benötigen würden. Das wäre ja die effektivse „Virtuosen“-Schule: Mann (und Frau) am Pult dazu zu bringen, nur dort aktiv zu werden, wo es wirklich nötig ist . . .


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