Dichtung und Wahrheit

Längst können Künstler eher durch trickreiche PR-Arbeit als durch Leistung berühmt werden.

An diesem Kommentar aus dem Jahr 2007 erschreckt, dass er auch ein Jahrzehnt später uneingeschränkt gültig zu sein scheint . . .

Enttäuschend, flüstert man sich zu, in der Pause der Opernvorstellung, am Ende eines philharmonischen Konzerts. Und doch: Ist es eine Enttäuschung, wenn man feststellt, dass Valery Gergievs Marinskij-Theater mit oberflächlich vorbereiteten Vorstellungen zum Gastspiel in Wien erscheint? Ist es erstaunlich, dass die Philharmoniker unter der Leitung von Daniel Harding nicht zu ihrer allerbesten Form auflaufen?

Es wird viel behauptet in unseren Tagen, von findigen PR-Agenturen und von Berichterstattern, die unreflektiert nachplappern, was an handlichen Instant-Formulierungen vorfabriziert wird. Intendanten und leider auch Orchester, die von sich behaupten, völlig selbstbestimmt zu sein, engagieren Künstler, deren Namen auf der dieserart ausgerichteten Kultur-Börse hoch gehandelt werden.

Oft gewinnt man den Eindruck, dass es kaum jemandem mehr um die klangliche Realität eines Konzerts geht, oder um den künstlerischen Gesamteindruck, den eine Opernaufführung hinterlässt. Hinterher vernimmt man dieselben Phrasen, die zuvor als Werbetext zu lesen waren. Und erst nach allzulanger Zeit macht sich der eingangs beschriebene Unmut breit: Da stimmt doch irgend etwas nicht.

Es stimmt tatsächlich allerhand nicht. Niemand wird behaupten, dass die eingangs erwähnten Dirigenten – deren Namen nur deshalb pars pro toto zu stehen kommen, weil sie dieser Tage gerade in Wien die Probe aufs Exempel gemacht haben –, dass also Gergiev oder Harding schlechte Dirigenten wären. Was aber unzufrieden stimmt, ist das Missverhältnis zwischen vorauseilender Berichterstattung und tatsächlicher künstlerischer Leistung.

Gergiev dirigiert ganz offenkundig viel zu viel, hier und da und auch dort noch, als dass er sich konsequent einer Arbeit widmen könnte. Das hört man beinah in jeder von ihm geleiteten Vorstellung – und, es tut mir leid, sogar auf CD-Produktionen, die er mit unseren Philharmonikern macht. Denn die geraten ebenso oberflächlich wie die Live-Konzerte. Und das, mit Verlaub, dürfte nicht sein, denn derlei Produktionen gehen in die Welt und tragen dazu bei, dass in manch aufmerksamem Musikfreund, der nicht gleich glaubt, was die Werbebranche ihm zuraunt, Zweifel zu nagen beginnen.

Das Nämliche passiert, wenn immer wieder ein Dirigent von Hardings Format am Pult des Meisterorchesters erscheint. Der Nimbus des großen Talents haftet dem mittlerweile dem Wunderkindalter Entwachsenen vielleicht noch ein paar Jahre an. Was dann?

Künstler, die an die Spitze gelangen, müssen heutzutage, man lernt das angesichts solcher Beispiele, keine wirklich reifen Leistungen mehr bringen, sie müssen sich nicht Zeit nehmen für ernsthafte, gediegene künstlerische Entfaltung.

Nur soll man, bitte, nicht glauben, dass derlei niemand mehr bemerkt. Es gibt noch gute Vergleiche – nicht nur auf Tonträgern mit historischer Dimension. Es gibt auch Künstler, die durch stetige Arbeit ihr Talent zu reicher Blüte bringen. Umso weniger Lärm um sie im Vorfeld gemacht wird, desto beeindruckender die Ergebnisse ihrer Arbeit. Wer aufmerksam ist, kann auch dafür Beispiele im Wiener Musikleben finden...




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