GEGEN DIE VERDEUTSCHUNG

Austriazismen kommen nicht nur in der Sprache ab - auch musikalisch hapert es oft, vor allem, wenn Schubert gespielt wird

Die Austriazismen werden ausgemerzt, so schrieb meine Kollegin Anne-Catherine Simon in einem klugen Leitartikel. Sie bezog sich dabei auf den Buchmarkt und hatte natürlich vollkommen recht, denn die schleichende „Verdeutschung“ des Österreichischen hat längst so weit um sich gegriffen, dass ihr selbst dort gehuldigt wird, wo sich's ein Autor leisten könnte, auf die notorische Angleichung an Sprach- und Schreibgewohnheiten von jenseits des Weißwurstäquators zu verzichten.

Auch Daniel Kehlmann, dem mit der „Vermessung der Welt“ ein literarischer Wurf gelungen ist, über dessen faszinierende, geradezu kontrapunktisch zu nennende motivisch-thematische Arbeit und formale Balance sich sogar eine Musikkritik schreiben ließe, ein Autor, der in Bayern und Österreich aufgewachsen ist und geprägt wurde, hat bereits gestanden – nicht vor Gericht zwar, aber dort, wo er eigentlich gestanden sein sollte.

Sei's drum. Unsere Kinder bekommen ja auch, eigenen Schilderungen zufolge, in der Schule für ihre Leistungen längst nicht mehr „Einser“, sondern „Einsen“. Sogar in Deutsch, wie die Kollegen in Bruchsal und Salzgitter. Und sie ahmen nach, was eine Sprachpanzerdivision von Synchronsprechern in Berliner Studios den unzähligen amerikanischen Vormittags-, Nachmittags- und Vorabendverblödungsserien als Tonspur unterlegt. Schreibe, wie du sprichst, hieß es früher, und plappere, wie du's im Fernsehen hörst, möchte man heute ergänzen. Kapellmeister Gottfried Piefke (in Wien einmarschiert anno 1866 und daselbst zur Legende geworden) schlägt den Takt dazu.

Apropos: Derlei Dinge schmerzen den österreichischen Leser und Zuhörer mindestens so sehr wie es den Wiener Musikfreund trifft, wenn etwa die Philharmoniker einmal bei Schubert den rechten Ton nicht mehr treffen, weil sie ein Kapellmeister aus dem Konzept bringt. Das muss nicht unbedingt ein "Ausländer" sein. Es gab ja wunderbare Schubert-Aufführungen unter Riccardo Muti; wenn auch die schönsten Wiedergaben der "großen C-Dur"-Symphonie zuletzt von Nikolaus Harnoncourt und Franz Welser-Möst dirigiert wurden.

Bei den allerbesten Dirigenten kann man ja lernen, dass (nicht zuletzt!) auch die Pausen in die Kunst der Phrasierung Eingang finden müssen. Und weil die tönenden Austriaca schon bei der richtigen Aussprache der Wörter beginnen, ließe sich mutmaßen, dass manche Schubertsche Generalpausen nur richtig dosieren kann, wer, spinnen wir diesen Gedanken zu Ende, ein saftiges „Halt die Papp'n“ im adäquaten Tonfall zu modellieren weiß.

In diesem Sinne bin ich schon wieder still und räume den Musikanten das Feld.

(ursprüngliche Version erschienen am 9. Oktober 2007)




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