CREDO IN UNUM DEUM

Woran berühmte Komponisten geglaubt haben. Ein Versuch über die Spiritualität von Meistern wie Bach und Bruckner, Verdi oder Richard Strauss. Aus Anlass der jährlichen „Ouverture spirituelle“ der Salzburger Festspiele.  


Woran haben die Komponisten wirklich geglaubt? Wer versucht, auf diese Frage eine Antwort zu finden, sollte ein wenig ausholen: Ein Richard Strauss musste ja beispielsweise niemandem den Kopf abschlagen lassen und auch nicht seine Mutter töten, um „Salome“ und „Elektra“ kongenial in Musik setzen zu können. Könnte also einer, der sein Handwerk beherrscht, als Kirchenmusiker – etwa am erzbischöflichen Hof zu Salzburg – reüssieren, ohne gläubig zu sein? Musste Mozart an die Menschwerdung Gottes glauben, wenn er das „Et incarnatus est“ besonders innig in Musik setzte? Und kam, wie es ein paar Jahrzehnte früher der Leipziger Rat formuliert hätte, seine Musik nicht „gar zu opernhafftig heraus“?

Johann Sebastian Bach musste sich diesen Vorwurf gefallen lassen; und doch halten nicht erst wir Heutigen gerade seine Schöpfungen für den tönenden Inbegriff echter Glaubensfestigkeit. Selbst der „Gott ist tot“-Philosoph Friedrich Nietzsche schrieb nach Aufführungen der „Matthäuspassion“: „Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.“ Eineinhalb Jahrzehnte danach entstand „Also sprach Zarathustra“ und noch einmal zehn Jahre später „Der Antichrist“; beide Werke wurden Inspirationsquellen für Kompositionen von Richard Strauss, der freilich deklarierter Atheist war.

Am anderen Ende der Skala steht Anton Bruckner, aus dessen weltlichem Schaffen die geistliche Komponente nicht wegzudiskutieren ist – auch wenn ausgerechnet in der „dem lieben Gott“ gewidmeten Neunten Symphonie Wagners leidenschaftlich-irdische „Tristan“-Harmonien fröhliche Urständ feiern.

Mit diesen wollte Meister Bruckner dann auch nicht vor seinen Schöpfer hintreten. In seiner unnachahmlich naiven Bildersprache schilderte er Freunden vielmehr, wie er die Notenrolle seines „Te Deums“ am Tag des Jüngsten Gerichts vorzeigen würde, wenn er an die Reihe käme: „Dann werd' i schon durchrutschen.“

Offene Fragen im Gotteslob. Angesichts der affirmativen Glaubensgewissheit, die aus den C-Dur-Akkorden dieses Werks spricht, hegt man keinen Zweifel daran, dass dem Meister die Passage ins Himmelreich dereinst glücken wird. Bruckners „In te, Domine, speravi; Non confundar in aeternum“ duldet keinen Widerspruch.

Ganz anders die Vertonung desselben Textes durch Giuseppe Verdi: In dessen „Te Deum“ folgen den effektvollen Fortissimi des Chors zarte, zerbrechliche Töne eines einsamen Solo-Soprans: Der Mensch steht ja offenbar doch allein mit all seinen Fragen und Problemen.

Wie sicher, wie überzeugt klingen hingegen die gewaltigen Orchesterschläge in Verdis großem „Credo“, in dem es freilich um den „Dio crudel“ geht, den grausamen Gott, der ein Leben beherrscht, an dessen Ende „der Tod und das Nichts“ stehen: Dieses „Credo des Jago“ aus dem „Otello“ ist eine der stärksten musikalischen Beschwörungen des Nihilismus; Seite an Seite mit der Höllenfahrt von Mozarts „Don Giovanni“. Spötter meinen, nie seien diese beiden geborenen Opernmeister so überzeugend wie in diesen existenziellen Manifestationen der finstersten Seelenmächte.

Und doch: Anrührend vermögen sie beide auch Augenblicke erhabener menschlicher Regungen zu gestalten; bei Mozart fallen sie, musikalisch betrachtet, hie und da sogar buchstäblich in eins mit veritablen religiösen Erfahrungen: Das „Agnus Dei“ der sogenannten Krönungsmesse von 1779 wird sechs Jahre später zur berührenden Seelenbespiegelung „Dove sono“ der „Figaro“-Gräfin.

Derartige Anverwandlungen finden wir ja schon bei Bach – allerdings nur in umgekehrter Richtung. Musik kann von weltlicher Huldigung in einen Lobpreis Gottes mutieren; ein „Downgrading“ wäre hingegen unschicklich gewesen.

Wie gläubig der aktive Freimaurer Mozart wirklich war, ist aus brieflichen Äußerungen kaum zu entnehmen; wenn er dem Papa einschlägige Bekenntnisse macht, hat das stets etwas von vorauseilendem, vielleicht geheucheltem Gehorsam; wenn auch zu bezweifeln ist, dass einer, der nicht daran glaubt, so innige Klänge für essentielle Bekundungen christlicher Dogmatik und Mystik hätte finden können; aber – apropos Handwerk! – man kann sich da täuschen (lassen).

Vielleicht auch von Franz Schubert, der immerhin ein Zeichen geistig-geistlicher Selbstbestimmtheit gesetzt hat: In all seinen Vertonungen des Mess-Ordinariums fehlt die Passage „Et unam sanctam catholicam ecclesiam“. Eine romantische Vorwegnahme des aktuellen Slogans „Wir sind Kirche“?

Einen vielleicht kirchenfernen, doch offenbar starken Glauben bekennt ja auch Ludwig van Beethoven, der so lang um die endgültige Gestalt seiner „Missa solemnis“ gerungen hat – und wie Verdi skeptisch-fragende Töne anklingen lässt, wenn es im „Agnus Dei“ um die abschließende Friedensbitte geht; da pauken und trompeten kriegerische Töne herein. Diese Attitüde hat sich Beethoven übrigens von Haydn abgeschaut!

Beide, Beethoven wie Haydn, bekennen ihren Glauben am beeindruckendsten in weltlichem Kontext: Schillers „Ahnest du den Schöpfer, Welt?“ tönt aus den Sphärenklängen in der Neunten ebenso wie aus der geradezu heiteren Gewissheit vollkommener Geborgenheit des selbstbestimmten Menschen in der „Schöpfung“ und in den „Jahreszeiten“: Keine weltliche Autorität wird da beschworen, aber auch keine Sancta Ecclesia: Der Homo sapiens tritt vielmehr in direkte Verantwortung gegenüber seinem Schöpfer – eine Verantwortung, die beide Komponisten offenbar tief und ehrlich empfanden.

Atheismus war (noch) nicht die Sache der Klassiker; so wenig wie jener artifizielle Synkretismus, der in einem Werk wie Richard Wagners „Parsifal“ zu neuen Ufern einer philosophisch grundierten Metaphysik aufzubrechen sucht. Aus dem Irrgarten hat sich erst das 20. Jahrhundert wieder zu befreien gewusst, erstaunlicherweise gerade auf französischem, also ganz der Säkularisierung geweihtem Boden – wie bei Olivier Messiaen oder Francis Poulenc; oder auf ehemals kommunistisch-atheistischem Terrain: Ekstatische Glaubensbekenntnisse singt man in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, nach Noten von Arvo Pärt zum Beispiel . . .