Gott erhalte 

Wie Deutschland Kakanien bestohlen hat

Sagen Sie, wie machen Sie diese wunderbaren Adagio-Sätze in Ihren Symphonien?“, fragte einst, reichlich naiv, eine Verehrerin den Komponisten Johannes Brahms. Der ätzte zuckersüß: „Das ist ganz einfach, gnädige Frau, die Verleger, die bestellen die so“. Vielleicht ist die Anekdote gut erfunden, doch zuweilen kommt Inspiration doch auf Bestellung. Wer da meint, ein so singulärer melodischer Einfall wie jener zu Joseph Haydns „Gott erhalte“, zu einer Melodie also, die sogleich höchste Popularität erlangen sollte, käme als Gnadenakt direkt vom Himmel, wird von der Geschichte eines der populärsten Lieder der Welt eines Bessern belehrt.

Das „Gott erhalte", Kaiserlied, später Hymne - deren Melodie bis heute in Deutschland in Gebrauch ist - hat wie vielleicht keine zweite Melodie in der Musikgeschichte politische Dimensionen erlangt. An der Wiege steht tatsächlich eine „Bestellung“. Es war der kaiserliche Hofbeamte Franz Graf Saurau, der angesichts der Bedrohungen der alten Ordnung durch die Nachwirkungen der französischen Revolution den Österreichern ein „National-Lied“ wünschte, wie es den Engländern mit ihrer Hymne „God Save the King“ beschieden war. „Die Anhänglichkeit des Volkes an seinen guten und gerechten Landesvater“ sollte „vor aller Welt“ singend kundgetan werden.

Tatsächlich erging an einen Wiener Literaten, Lorenz Leopold Haschka, der Auftrag, einen entsprechenden Hymnus auf Franz – damals noch II. und nicht österreichischer, sondern Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation – zu verfassen. Joseph Haydn, unbestritten der führende Meister des europäischen Musiklebens, sollte die Melodie komponieren.

Von göttlicher Inspiration war keine Rede. Haydn mühte sich redlich mit diesem Auftrag. Die ursprünglichen Skizzen weichen erheblich vom späteren Ohrwurm ab. Und dass Haydn eine kroatische Volksweise als Vorbild gewählt haben soll, ist unwahrscheinlich angesichts der Mühen, die er offenkundig aufgewendet hat, um der Tonfolge den erwünschten populären Charakter zu verleihen. Ob nicht eher aus dem allseits mit Freude gesungenen „Kaiserlied“ ein volkstümlicher Gesang geworden sein mag, den spätere Generationen für ein lang ererbtes kroatisches Lied hielten?

Wie auch immer: Am 12. Oktober 1797 kam es im alten Burgtheater zum seltenen Fall der „Uraufführung“ einer Komposition, die dazu bestimmt war, populär zu werden – und die es tatsächlich wurde. Die Allerhöchste Zustimmung war dem „Kaiserlied“ beschieden. Die Popularität folgte auf dem Fuß. Haydn selbst wählte seine Melodie als Thema für einen Variationensatz in seinem später so genannten „Kaiserquartett“. Auch dazu sind in der Nationalbibliothek die Skizzen zu sehen. Und schon wenig später konnte Antonio Salieri in seinem antinapoleonischen „Tyroler Landsturm“ das Lied als allgemein bekannt mit Signalwirkung zitieren: Aus dem Auftragsstück war tatsächlich die im Volk akzeptierte Hymne geworden, die später noch in unzähligen musikalischen Kompositionen – bis hin zu Johann Strauß – zitiert und variiert werden sollte.

Statt Volks-Hymne ein Freimaurer-Lied

Nicht nur in Österreich wurde das „Kaiserlied“ dann von Monarch zu Monarch neu textiert. Die Melodie wurde über die Grenzen Kakaniens so beliebt, dass der Poet August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 zu Helgoland sie mit dem Text seines „Liedes der Deutschen“ unterlegte – und damit jenen Prozess einleitete, der zur vielzitierten Umwertung der österreichischen (oder besser: Habsburgischen) zur deutschen Hymne führte.

Da nach dem Ende der Monarchie alle Versuche der Ersten Republik scheiterten, dem neuen Staat eine neue musikalische Identität zu verschaffen – Wilhelm Kienzl („Evangelimann“) komponierte einen Text Karl Renners –, hielt sich Haydns Hymne hartnäckig. Erst die Tatsache, dass man die Melodie im nationalsozialistischen Deutschland sang, hat dazu geführt, dass man sie nach 1945 nicht mehr hören wollte. In Österreich. Deutschland singt sie nach wie vor, während man hierzulande ein Freimaurer-Lied als Ersatz wählte, das man fälschlich Mozart zuschrieb . . .



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