Über den Musikkrrrrrritiker

Hanslicks Erben haben anderes zu tun als der Allvater aller Rezensenten. Sah er noch in der Beleuchtung des zeitgenössischen Musikschaffens seine Hauptaufgabe, gilt die Betrachtung heutzutage nur noch musealer Reproduktion.

Eine Würdigung Eduard Hanslicks

... und noch ein Feuilleton zum Thema

Und die Geschichte, wie ich Rundfunkmoderator wurde: "Hören als Abenteuer"

Franz Endler, der Mann, der mich in die "Presse"-Redaktion holte

Der Musikkrrrrritiker – die Berufsbezeichnung ist durch Georg Kreisler kabarettistisch geadelt worden zu einem Zeitpunkt, zu dem der Musikkrrrrritiker in Wahrheit nicht mehr viel zu sagen hatte. Nicht, weil sämtliche Vertreter dieser Profession, wie Kreisler mutmaßte, so uuuunmusikalisch waren und/oder sind, sondern weil sich die Aufgabenstellungen geändert haben. Lesen wir, was Eduard Hanslick einst über die Uraufführung des „Rings des Nibelungen“ zu „Presse“-Papier brachte, dann bekommen wir einen Begriff davon, welche Paradigmenwechsel der Kulturjournalismus in der Zeit seit 1876 durchzumachen hatte.

Da ist einmal die ungeheure Ausdehnung, die ein solches Feuilleton einnahm. Was wir in unserer Jubiläumsnummer abdrucken können, ist ein kleiner Auszug von Hanslicks musikalischer Analyse – etwa ein Viertel des Textes von damals. Und es handelt sich dabei lediglich um den musikalischen Teil der Rezension, die Hanslick insgesamt in vier Teile gliederte – wohl in Anlehnung an Wagners Aufteilung seines Dramas auf „einen Vorabend und drei Tage“ . . .
Drei weitere Feuilletons erschienen zwischen 14. und 19. August 1876 – eines über die Dichtung, eines über das Bayreuther Festspielhaus und ein abschließendes über „Aufführung und Totaleindruck“. Letzteres verstünden wir heutzutage unter einer Premierenkritik, wobei wir davon ausgehen können, dass der Schreiber dieser Zeilen demnächst – zwischen 27. Juli und 2. August, wenn die Rezensionen des Jubiläums-„Rings“ am Uraufführungsort anstehen – für die vier geplanten Texte insgesamt vielleicht so viel Platz bekommen wird, wie er Hanslick einst für einen seiner vier Beiträge zustand.

Pegelstandsmessung

Das Wichtigste aber: „Aufführung und Totaleindruck“ sind es, über die Hanslicks Ururenkel in der Regel zu berichten haben. Aus der Berichterstattung über neue Werke, analytischer Auseinandersetzung mit Text und Musik eines eben uraufgeführten Musikdramas ist die Betrachtung des „nachschaffenden“ Kunsthandwerks geworden.
Musikkritik anno 2013 ist längst eine Begleiterscheinung des reproduzierenden Musikbetriebs geworden. Sie hat etwas mit Pflege und Wartung, mit Pegelstandsmessung zu tun – eine Auseinandersetzung mit der Frage, wohin sich die Kunst, die Kunstproduktion entwickeln könnte, wird vom Feuilleton kaum noch erwartet.
In der Ära der Postmoderne stellt sie kaum noch jemand. Und das Interesse des Leserpublikums an dem, was hoch subventioniert von Spezialensembles bei Festivals zeitgenössischer Musik hervorgebracht wird, ist, höflich gesprochen, enden wollend.
Viel spannender scheint es, sich über die Repertoirebildung in den großen Klangmuseen in Europa Gedanken zu machen – ob man Bruckners Achte im Musikverein lieber von Christian Thielemann oder Sir Simon Rattle dirigiert, die Brünnhilde in der Staatsoper von Nina Stemme oder Evelyn Herlitzius gesungen hören möchte.
Zur Aufrechterhaltung des museal gewordenen Musikbetriebs gehört die begleitende Musikkritik dazu wie die zu Recht immer eingeforderten Rundfunk- und TV-Übertragungen. Unterbleiben diese, drängen die Medien die Kulturberichterstattung schrittweise zurück, droht das Kulturleben zu veröden. Die USA, wo die meisten Zeitungen die Musikkritik abgeschafft haben, bieten das beste Beispiel für die sukzessive Ausdehnung der Kulturwüste, die nur noch vor Metropolen wie New York ein wenig haltmacht.
Hierzulande, wo der tönende Museumsbetrieb noch glänzend funktioniert, sollte man sich hie und da sogar den Luxus gönnen nachzulesen, was der Allvater der Musikkritik, Hanslick, einst zu den Hervorbringungen seiner Zeit zu schreiben wusste. Nicht die immer wieder zitierten Fragmente, sondern die gesamten Texte sollte man lesen, um zu ermessen, wie ungemein gebildet und wohl vorbereitet dieser Mann sich auf seine jeweiligen Aufgaben eingelassen hat. Dass er Komponisten wie Bruckner oder gar Wagner einseitig abgelehnt hätte, lässt sich dann wirklich nicht mehr behaupten.
Eher schon, dass manche Vorhersagen auf lange Sicht eingetroffen sind – etwa jene von der drohenden Ghettoisierung der „ernsten Musik“. Auch berühmte Bonmots wie das von „Musik, die man stinken hören kann“, gemünzt auf Tschaikowskys Violinkonzert, sind falsch zitiert und aus sinnvollem Zusammenhang gerissen.
Aber das ist eine andere Geschichte, aus alten Zeiten eines Blattes, das seit seiner Gründung nur sechs Erste Musikkritiker beschäftigt hat. Dank Hanslicks fast ein halbes Jahrhundert währender Tätigkeit folgten ihm vor 1938 nur zwei Kollegen; auch sie trugen prominente Namen: „Opernball“-Komponist Richard Heuberger und Komponistenvater Julius Korngold . . .



2004 erschien ein Feuilleton zum Thema im "Spectrum" der "Presse":

Warum ich ein Fossil bin? Über den Beruf des Musikkritikers - nach 20 Jahren Erfahrung (2004)






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