WO HABEN DIE GEIGER IHRE PLÄTZE ?
Gehören die Violinen stereophon links und rechts vom Dirigenten platziert?


Hatten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beinahe überall auf den Konzertpodien die tiefen Streicher rechts, die Violinen links vom Dirigenten Platz genommen, sieht man nun wieder verstärkt, was für Maestri wie Furtwängler, Bruno Walter oder Otto Klemperer – aber etwa auch in Russland bei Jewgeni Mrawinski im damaligen Leningrad – selbstverständlich war: Die beiden Violingruppen flankieren das Dirigentenpult. Auch bei den Wiener Philharmonikern ist diese Sitzordnung zuletzt wieder in Mode gekommen. Manche Dirigenten akzeptieren die, andere fordern sie kategorisch ein (Carlos Kleiber etwa - und meist auch Rafael Kubelik). Sie wissen, dass diese „alte deutsche Ordnung“ nicht nur im Falle der Wiener Klassik sinnvoll scheint. Semyon Bychkov statuierte beispielsweise mit Joseph Haydns „Trauersymphonie“ ein Exempel im philharmonischen Abonnementknzert: Es war von bezaubernder Wirkung, wenn im langsamen Satz die weit geschwungene Melodie von beiden Seiten des Podiums her ertönte, bis sich die ersten von den zweiten Violinen lösten.

Solche Beispiele für Effekte, die schlechterdings unhörbar werden, wenn die Geigengruppen links vom Dirigenten hintereinander postiert sind, gibt es zuhauf. Tschaikowsky etwa hat im Finale seiner „Pathétique“ einen geradezu halluzinatorischer Effekt komponiert: Die Oberstimme scheint mehrmals pro Takt zwischen den beiden Seiten hin und her zu schwanken. Ein Verwirrspiel, das bei der zuletzt gewohnten Sitzordnung, bei der die zweiten hinter den ersten Geigen zu sitzen kommen, überhaupt nicht hörbar würde!

Ehrenrettung der Zweiten Violinen

Die Wiederherstellung der klassischen Sitzordnung kommt einer Ehrenrettung der zweiten Violinen gleich, die in der Literatur eine viel bedeutendere Rolle spielen als es den Anschein haben mag. Wie oft beginnt Mahler etwa eine Entwicklung in den Sekundgeigen und lässt die ersten dann „übersingen“ – die melodische Führung wandert dann hörbar von rechts nach links, polyphone Strukturen werden für das Auditorium transparenter.

Interessanterweise hat sich in der Wiener Oper diese klassische Geigen-Stereotechnik bis heute erhalten. Wer in den Orchestergraben im Haus am Ring blickt, wird sie – abgesehen von „kleinen“ Mozart- oder Rossini-Besetzungen, bei denen die Bläser alle rechts zu sitzen kommen – in der Regel vorfinden. In Bayreuth, wo man das Orchester nicht sehen kann, mag manchem Neugierigen schon aufgefallen sein, dass die Violingruppen zwar ebenfalls getrennt sind, aber die Rollen tauschen. Das liegt an den akustischen Gegebenheiten des Festspielhauses: Rechts sitzend, sind die Primgeigen bevorzugt, weil sie quasi aus dem Schalldeckel heraus spielen, nicht in diesen hinein, also ,,zur Wand“. Der Dialog mit den Kollegen ,,von der anderen Seite“ bleibt freilich erhalten .




Sinkothek Banner schmaljpg      Beckmessers Diariumjpg