DAS ALBAN BERG QUARTETT
Primarius Günter Pichler vor der unwiderruflich letzten Tournee (2008) im Gespräch über die Kunst des Quartettspiels und die Seelenkunde eines berühmten Ensembles.Kann man sein eigenes Spiel auf dem Podium überhaupt beurteilen? Weiß man, wie die Musik beim Publikum ankommt? „Sich selbst zu beurteilen, lernt man spät“, sagt Pichler, „einmal spielten wir in Baden-Baden Bergs Opus 3. Pierre Boulez, ein guter Zuhörer, kam nachher, um uns zu mehreren Konzerten im Rahmen seines Projekts mit Musik des 20.Jahrhunderts nach Paris einzuladen. Und das nach einem Konzert, wo mindestens drei, vier Schmisse passierten!“
Bei der Begegnung mit Komponisten sammelt der Interpret offenkundig auch nützliche Erfahrungen für die Aufführung älterer Musik. Pichler: „Vollkommen überzeugt bin ich mittlerweile, dass Komponisten ganz genaue Tempo-Vorstellungen haben. Luciano Berio meinte nach der Uraufführung seines Notturno, es sei alles wunderbar gewesen, nur eine bestimmte Stelle war ihm zu langsam. Auch in der Orchesterfassung, deren Uraufführung er mich dirigieren ließ, weil er meinte, ich kenne das Stück mittlerweile besser als er selbst, war ihm die besagte Stelle zu langsam. Sie war technisch nicht rascher auszuführen!“
Das heißt, dass der Interpret muss zuweilen Kompromisse machen muss? „Der erste Satz von Beethovens op. 95 zum Beispiel wäre technisch im vorgeschriebenen Tempo realisierbar. Doch ginge dabei die Kraft, die geforderte Vehemenz verloren! Im übrigen hat gerade Beethoven sonst einfach ideale Metronomisierungen vorgegeben; vielleicht manchmal sogar ein klein wenig unter jenem Tempo, das man anschlagen würde.“
Vier Musiker, die über Jahrzehnte miteinander musizieren, können wohl nicht in allen Dingen immer einer Meinung sein?
„Ich glaube, dass es besonders bei Thomas Kakuska Details gegeben hat, mit denen er nicht einverstanden war. Er kam zum Beispiel und sagte: Es ist Deine Stelle; und Du bist der Primarius! Aber ich will Dir nur sagen: Mir gefällt das so nicht. Aber mach Dir nix draus, Du hast immer Erfolg beim Publikum. – Das war natürlich raffiniert. Denn dann beginnt man nachzudenken.“
Wie steht es mit der Hierarchie in einem Quartett?
„Natürlich sehen Mittelstimmen-Spieler, wenn sie klug sind, ein, an welcher Position sie sich befinden. Gerhard Schulz spielt genau so gut Geige wie ich. Das ist keine Frage der Qualität. Ich sehe bei den jungen Ensembles, die wir unterrichten, oft, dass Mittelstimmen, weil sie, sagen wir's ruhig, einfach nicht so viel zu tun haben, dazu neigen, immer zu nörgeln...“
Ändert nach subtiler Kritik wie jener Kakuskas, auch der Primarius seine Meinung?
„Natürlich! Aber es muss ein Grundkonsens da sein. Sonst geht es nicht. Als wir umbesetzen mussten, wussten die neu Hinzukommenden ja immer, was ihnen bevorstand. Sie hatten das Quartett ja gehört, wussten, ob sie mit dem Stil etwas anfangen konnten. Im Detail funktioniert es dann aber natürlich nur, wenn ein Teil der Gruppe auch nachgeben kann.“
Seit Thomas Kakuskas Tod ergänzt Isabel Charisius das ABQ. In dieser „vierten“ Besetzung absolviert eine Musikanten-Formation längst legendären Charakters dieser Tage ihre letzte Tournee.