VESSELINA KASAROVA
„Ich hatte Glück“, sagt Vesselina Kasarova im Gespräch (2010), „im Jahr 1991 mit der Rosina in Rossinis ,Barbier von Sevilla‘ an der Wiener Staatsoper debütieren zu dürfen. Glück auch deshalb, weil mir der damalige Direktor, Ioan Holender, ein paar Sachen gesagt hat, die ich bis heute beherzige. Vor allem den Satz: ,Wenn Sie lange singen wollen, gehen Sie nicht zu Gesangswettbewerben, ich nehme Sie ins Ensemble – und Sie singen zunächst nur lyrische Partien.‘ Dazu muss man wissen: Ich hatte damals einen Vertrag als Eboli in Verdis ,Don Carlos‘ in der Tasche. In Bordeaux sollte ich diese Partie an der Seite von Mirella Freni singen! Ich war damals 25. Ich hätte es auch gekonnt. Aber um welchen Preis. Ich bin froh, nicht gleich ins dramatische Fach gegangen zu sein. Zwei Jahrzehnte später ist meine Stimme runder geworden, ich kann ohne Gefahr für meine Stimme mein Repertoire ausweiten. Aber immer noch ist die Beweglichkeit gegeben, ich kann immer wieder zum Belcanto-Repertoire zurückkehren. Das ist, wie wenn man Sport betreibt, man ist beweglicher! Ich habe im Vorjahr die Cenerentola gesungen. Ich verabschiede mich von einem bestimmten Repertoire jetzt allerdings langsam. Aber nicht, weil ich es nicht mehr singen kann, sondern weil die Zeit reif ist. Ich bin 20 Jahre älter geworden.“
Was ist ein Star? Wohin es führt,
wenn ein Sänger Raubbau mit seinen vokalen Möglichkeiten treibt, lässt sich an
vielen Beispielen studieren. Vesselina Kasarova war und ist eine genaue
Beobachterin der Musikszene: „Oft überlege ich, was ist ein Star? Dann lese
ich: Edita Gruberova: 40 Jahre an der Wiener Staatsoper – und schaue auf andere
Karrieren, die nach fünf oder sechs Jahren schon zu Ende sind. Man muss
eigentlich gar nicht darüber diskutieren. Die Sache ist ganz klar! Mit dem
Erfolg, der sehr verführerisch ist, umzugehen, ist sehr schwierig für einen
jungen Künstler. Man muss lernen, sich treu zu bleiben. Ich habe auch bei
großen Dirigenten manchmal Nein gesagt. Natürlich fürchtet man sich: Werde ich
wieder gefragt, wenn ich jetzt ablehne?“
Die Zukunftsvisionen Vesselina Kasarovas, die also dem Belcanto-Repertoire
langsam entwächst, erfüllen sich jetzt Schritt für Schritt. „Ich wage mich in
dieser Spielzeit an zwei große Dinge: In Zürich singe ich erstmals die Venus
in der Pariser Fassung von Wagners ,Tannhäuser‘. Man hat mir immer gesagt, das
sei eine extrem schwierige Partie. Aber ich habe es probiert, und es geht. Wir
studieren die Oper mit Harry Kupfer ein, Ingo Metzmacher wird dirigieren, Nina
Stemme ist die Elisabeth. Dann folgt in Berlin die Dalila. Im französischen
Repertoire möchte ich gern irgendwann auch noch die Dido in den ,Trojanern‘ von
Berlioz singen.“
Der große Horizont. Was nicht heißt, dass für gewisse Belcanto-Rollen nicht weiterhin
Engagements winken: In München spielt beispielsweise Bellinis „Romeo und
Julia“-Oper „I Capuleti e i Montecchi“, womit der künst-
lerische Horizont der Kasarova 2010/2011 von Händel über die Belcantisten bis
zu Wagner reicht!
Bei alledem schwärmt sie bescheiden von großen Kollegen: „Ich durfte mit der
Gruberova auf der Bühne stehen und konnte in Zürich auch über Jahre hin
beobachten, wie Gwyneth Jones oder Matti Salminen ihre langen Karrieren
aufgebaut haben, wie sie mit ihren Stimmen umgehen!“
Sie selbst sorgt mit Musik wie jener von Georg Friedrich Händel immer für den
Erhalt der Beweglichkeit ihres Mezzos. Die Anforderungen, die der Komponist an
seine Interpreten stellt, sind enorm, von aberwitzigen Koloraturfeuerwerken in
den großen Da-Capo-Arien bis zu endlosen Melodiebögen in den ruhigen Stücken.
Und alles ist mit großer Emotion darzubieten: „Ich habe vor zwölf Jahren in
dieser Partie debütiert und war sofort fasziniert und habe mich in diese Musik
verliebt. Es gibt Momente von unwahrscheinlicher Ausdruckskraft, vor allem in
den langsamen, getragenen Arien. Es geht für den Sänger darum, die Hörer
mitfühlen zu lassen. Nur einfach schön singen, das geht nicht."